Keine alten Schinken!
Ganz großes Opernkino: Ulrich Urban spielt spätromantische Klavierparaphrasen der Opern von Hans Pfitzner
An einer berühmten Musikhochschule lehrte bis vor kurzem ein Professor, der Klavierfantasien über Opern grundsätzlich als alte Schinken abtat. Ganz gleich, was es war: Franz Liszts Rigoletto-Paraphrase, Sigismund Thalbergs Fantasie über den Barbier von Sevilla oder Moritz Moszkowskis Bearbeitung des Tristan-Vorspiels von Richard Wagner –alles waren Schinken.
Wenn Erstsemester diese Stücke schön, gut komponiert und hervorragend für Klavier gesetzt fanden, dann begann der Professor jedesmal eine halbstündige Tirade gegen pianistische Zirkustricks, seichte Unterhaltung und die Verhunzung von Meisterwerken. Sein Schlusssatz lautete danach unweigerlich: Hören Sie doch einfach die Oper.
Genau das aber ist der Punkt: Vor der Erfindung von Rundfunk und Schallplatte konnte eben nicht jeder, sofern er nicht gerade in einer Stadt mit einem Opernhaus lebte, die Oper hören. Und genau aus diesem Grund begannen Pianisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die bekanntesten Themen und Melodien aus einer Oper herauszuziehen, sie in einem Potpourri aneinanderzureihen und mit Übergängen und pianistischen Schwierigkeiten aller Art zu versehen. Das ist der erste Grund für die seichten Klavierschinken des 19. Jahrhunderts, die trotzdem Millionen Menschen Freude bereitet haben und es zunehmend wieder tun.
Der zweite Grund liegt darin, dass die reisenden Virtuosen des 19. Jahrhunderts ihre Zuhörer nicht mit den Sonaten von Beethoven, den Balladen von Chopin und schon gar nicht mit den Goldberg-Variationen von Bach begeistern konnten, sondern mit virtuosen Opernparaphrasen, die man durchaus als gehobene Unterhaltungsmusik klassifizieren kann. Alle Pianisten haben sie gespielt, allen voran Franz Liszt, der einige der besten überhaupt verfasste; Thalberg, der damit um die Welt reiste, und viele kleinere und kleinste Lichter, die mit der Hammerklaviersonate von Beethoven überfordert, mit einem Donizetti-Potpourri jedoch gut beraten waren.
Nach dem Ersten Weltkrieg war es dann mit den Opernfantasien zuerst einmal vorbei, der letzte große Pianist, der noch welche geschrieben und gespielt hat, ist wohl Ferruccio Busoni mit seiner Carmen-Fantasie gewesen.
Und nun legt der Pianist Ulrich Urban eine Aufnahme von Klavierparaphrasen der fünf Opern von Hans Pfitzner (1869-1949) vor. Da denkt man zuerst: Wie passen denn rauschende Klavierfantasien und Pfitzners innige, nie auftrumpfende Opern zusammen? Und dann hört man diese großartigen Stücke und spürt sofort: richtig gut.
Immer wieder ist man erstaunt, wie gekonnt die fünf verschiedenen Bearbeiter Pfitzners Opern aufs Klavier bringen, jeweils die Hauptthemen fein herausziselieren, sie nicht mit pianistischem Ballast beschweren, sondern Pfitzners, manchmal herb-strenger, dann wieder lyrisch-inniger Kunst zu ihrem Recht verhelfen.
Hört man schließlich Ulrich Urbans feinsinnige Interpretationen, Einspielungen eines Pianisten, der wie kaum ein zweiter in der spätromantischen Welt von Max Reger und Hans Pfitzner zu Hause ist, dann kann man nur sagen: Diese Stücke stellen eine richtige Entdeckung dar. Auch der Repertoirewert ist enorm hoch, denn bislang gab es keine Aufnahme dieser Bearbeitungen.
Wer also alle Opern Hans Pfitzners an einem Abend im Schnelldurchgang kennenlernen will – der greift zu dieser CD.
Bestellnummer: CTH2620